Unsere Wildpferde ernährten sich früher aus einem Sammelsurium von meist kargen Wiesen die durchsät waren von struppigen Sträuchern und Büschen. Keiner hatte das alte hochgewachsene und nun am Boden liegende „holzige“ Gras im Herbst per Mulcher entfernt. Lag noch bis ins späte Frühjahr der Schnee, wurden die jüngeren Triebe der Bäume und die Rinden gefressen. Dennoch auch damals war die Weide bzw. Heide oder Tundra die Ernährungsgrundlage der Pferde schlechthin. Im Unterschied zu heute, waren die Weideflächen durchwachsen von zuckerarmen niedrig wachsenden Grassorten. Unsere jetzigen Weideflächen waren noch vor 200 Jahren moosige und feuchte Wiesen mit niedrigem Ertrag.
Ab dem beginnenden 19. Jahrhundert begannen dann die Landwirte allmählich Weideland trockenzulegen und in einzelnen Dekreten der Landesfürsten, wurden die Landwirte aufgefordert Ihre Weiden mit energiereicheren Mischungen nachzusäen und das Weideland trocken zu legen. Mit Beginn der sehr subventionslastigen Michviehwirtschaft wurden energie-, protein- und zuckerhaltige Grassorten kultiviert und auf die Wiesen gebracht. Für die Wiederkäuer stellte der hohe Fruktangehalt kein nennenswertes Problem dar und der Milchertrag konnte mit jeder neuen Saatmischung gesteigert werden. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts aber wurde die Milchviehwirtschaft für etliche mittelständische und kleine Betriebe uninteressant und viele stiegen auf Pferde-Pensionshaltung um. Nahrungsgrundlage sind aber heute noch die Kuhweiden von damals geblieben. Die Pferde werden nunmehr auf diesen eingezäunten Powerweiden gehalten und die Bestandsdichte der Pferde ist meist sehr hoch. Viele Pferdeweiden werden Jahr für Jahr bis auf die Grasnarbe abgegrast und haben keine Zeit mehr, sich zu regenerieren.
Fruktan als Auslöser für Hufrehe
Da scheint es nahe zu liegen, die Pferdeweide und das Fütterungsmanagement als möglichen Verursacher für die stark ansteigende Zahl kranker Pferde mit Hufrehe, EMS oder Cushing unter Generalverdacht zu stellen. Heute scheint man zu wissen, dass es nicht das Eiweiß (Protein) im Futter war, wie man lange Zeit annahm, sondern hat jetzt das Fruktan im Weidegras und Heu als mögliches Übel für Hufrehe und andere Stoffwechselerkankungen beim Pferd ausgemacht.
Gehalt Fruktan in Pferdeweiden
Sandra Dahlhoff hat sich in Ihrer Dissertation „Fruktangehalt im Gras von Pferdeweiden während der Weidesaison 2002“ sehr ausführlich mit dieser Problematik beschäftigt und kommt doch zu einem Ergebnis das neue Fragen aufwarf. Sie widerlegte zumindest ein stückweit die Theorie, Fruktan alleine könnte der Auslöser sein. In dieser Studie wird zumindest der direkte oder alleinige Zusammenhang zwischen dem wasserlöslichem Kohlenhydrat (Zucker) und einer Hufrehe in Frage gestellt. Die von ihr im Weidegras ermittelten Fruktangehalte, darin sind sich alle Studien einig, waren abhängig von der Grassorte und es wurden bis zu 400 Gramm Fruktan pro kg TS (z.B. Weidelgras) festgestellt. (Sandra Dahlhoff konnte in ihrer Studie nur maximal 120 Gramm ermitteln.)
In einer anderen Studie wurden die tageszeitlichen Schwankungen des Fruktangehalts in Abhängigkeit der Temperatur nachgewiesen. Hier schwankten die Werte im Blatt zwischen 70 g Fruktan pro kg TS am Morgen und 310 g Fruktan pro kg TS um 13:00 Uhr. Interessant war aber auch die Beobachtung, dass in den meisten Studien die Fruktanwerte am Nachmittag im Stängel des Grases zunahmen, während der Fruktanwert im Blatt deutlich fiel. Die meisten Studien bestätigen diesen Zusammenhang und kommen auch übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass im Frühjahr (April) der Gehalt auf den Weiden gegenüber den restlichen Monaten im Mittel am höchsten war. Zu einem gegensätzlichen Ergebnis kommen die Studien aus den Jahren 1984 und 2001 (Larrsson und Stehen sowie Hoffman), die gerade in den späten Herbstmonaten die höchsten Fruktangehalte nachwiesen. Dies lässt meines Erachtens zumindest Rückschlüsse zu, dass diese Ergebnisse aufgrund der unterschiedlichen Witterungsbegebenheiten in den einzelnen Studienjahren zu diesen Werten führten. Aber reicht das Fruktan auf der Weide alleine aus, um bei einem Pferd Hufrehe auszulösen? Frau Sandra Dahlhoff verneint dies und stell dazu eine Berechnung auf: Sie hat recht, setzt man ihre ermittelten Fuktanwerte im Weidegras als Grundlage heran.
Fruktane gehören zu den rasch fermentierbaren Kohlenhydraten, d.h. sie werden bevorzugt im Dickdarm durch Bakterien verstoffwechselt. Da die Fruktane in den Zellwänden der Weidegräser gespeichert werden, müssen diese zunächst im Verdauungstrakt aufgeschlossen werden. Zumindest werden daher die im Weidegras gespeicherte Fruktane nicht sofort freigesetzt. Dies hat zur Folge diese Fruktane zu einer vermehrten Milchsäurebildung und Streptokokken im Blind- bzw. Dickdarm und zu einem Abfall des pH-Wertes im Darm Lumen führen. Dennoch konnte in Versuchen mit Pferden erst bei einer Menge von 7,5 Gramm Fruktan je kg Körpermasse eine Hufrehe sicher ausgelöst werden. Das würde im Umkehrschluss heißen, dass das Pferd täglich so viel Weidegras zu sich nehmen müsste, für das es normalerweise 3 Tage brauchen würde. Wobei in dieser Berechnung laut Dahlhoff nicht berücksichtigt wurde, dass es in anderen Studien auch Grasproben gab mit einem Fruktangehalt von 400 Gramm pro kg TS.
Ihre Erkenntnisse lassen im Umkehrschluss zumindest die Aussage zu, dass der Fruktangehalt im Weidegras allein nicht grundsätzlich ein sicherer Parameter für die Auslösung von Hufrehe sein muss. In anderen Untersuchungen werden weitere Parameter diskutiert die in der Kombination zu einer Stoffwechselentgleisung mit Rehe führen kann. Hier diskutiert man die meist in Symbiose lebenden Schimmelpilzgifte (Endophyten) auf der Pferdeweide als Krankmacher.
Verdauung von Fruktan
Was passiert bei der Futteraufnahme von rasch fermentierbaren Kohlenhydraten wie z.B. Fruktane? Ähnlich, wie bei Stärke durch Getreidefütterung gehen die laktatverwertenden (milchsäureverwertenden) Bakterien stark zurück. Im Gegenzug aber vermehren sich die milchsäureproduzierenden Bakterien im Blind- und Dickdarm. Durch die Entstehung einer sogenannten laktophilen Darmflora sinkt der ph-Wert stark ab und verändert die Osmolarität, d.h. die Darmschleimhaut wird durchlässiger und giftige Stoffe mikrobieller Herkunft gelangen ungehindert in die Blutzirkulation.
Heute weiß man aber, dass Fruktan allein in den meisten Fällen nicht ausreicht um eine Hufrehe auszulösen. Blickt man auf die erkrankten Pferde wird sehr schnell deutlich, dass es sich meist um bereits vorerkrankte oder disponierte Pferderassen handelte. Störungen im Glucosestoffwechsel Fettleibigkeit, EMS, Diabetes, Cushing usw. lassen den Verdacht zu, dass die Hufrehe mit der Weidezeit und der Vorerkrankung in Verbindung gebracht werden kann.
Giftstoffe auf der Weide neben Fruktan
Darüber hinaus hat man Kenntnis darüber, dass in vielen Grassorten (insbesondere Hochenergiegräsern) Schimmelpilze in Symbiose mit dem Weidegras leben. Diese sogenannten Endophyten haben normalerweise die Aufgabe die Pflanze vor biotischen (Umweltfaktoren, an denen Lebewesen beteiligt sind) und abiotischen (andere Umweltfaktoren – z.B. Hitze, Dürre, Wasser usw.) zu schützen. In diesem sehr komplexen Stoffwechsel werden von den Pilzen Stoffe produziert, die die Pflanze schützen. Diese Stoffe enthalten hoch toxische Kaloide. Ebenso werden Gräser auch von Mutterkorn befallen. Die Endophyten findet man insbesondere im Frühjahr oder im Herbst auf der Weide oder auf Weiden die einer hohen Beweidungsdichte ausgesetzt sind. Mutterkorngifte werden oft im spät geernteten Heu nachgewiesen. Nachdem Fruktan im Weidegras die Durchlässigkeit der giftigen Stoffe direkt in den Blutkreislauf erhöht gelangen auch diese hochtoxischen Gifte vermehrt ins Blut und rufen massive Stoffwechselentgleisungen (Hufrehe, COPD, ROAR, EMS, Cushing, Ekzem usw.) hervor.
Heute vermutet man also, dass es eine Kombination aus mehreren ungünstigen Faktoren ist, die das Faß zum überlaufen bringen. Erstens sind es die Hochenergiegrassorten, wie wir sie meistens auf unseren Weiden finden, weil die Saatmischungen seit den 60er Jahren darauf ausgerichtet sind und das veränderte Weideverhalten (12 bis 24 Stunden Weidegang). Hinzu kommt dann auch noch der hohe Fruktangehalt - insbesondere im späten Frühjahr und im Frühherbst, der den bereits vorbelasteten oder disponierten Pferden schwer schadet. Dennoch muss das Pferd nicht zwingend vorbelastet gewesen sein um am Ende zu erkranken. Nach einer über eine Sommersaison andauernden Weidezeit reichen die entstehenden Gifte aus.
In der Erkenntnis dieser Umstände könnte man zu der im Eingang des Artikels aufgestellten Frage: Ist das Gras für Pferde giftig ein klares Ja dahinter stellen, wenn nicht entsprechende Vorkehrungen getroffen werden:
- Weidezeiten nach kalten Nächten und warmen/sonnigen Tagen auf den späten Nachmittag verlegen
- Weiden nach dem Abweiden ausreichend Zeit zur Erholung geben
- Dürren oder saisonal untypische Witterungseinflüsse erhöhen den Anteil an Mykotoxinen/Endophyten im Weidegras
- Grassaaten mit fruktanarmen Grassorten wählen und Nachsaaten mit hohem Kräuteranteil versetzten
- Pferdeweiden auf Giftpflanzen untersuchen
- Während der Anweidezeit und fruktanreichen Zeit möglichst mit wenig Misch-/Kraftfutter zu füttern
- Bei Pferden konnte man beobachten, dass sie binnen kurzer Zeit verkürzte Weidezeiten durch höhere Futteraufnahmen kompensieren = gefährdeten Pferden einen Fressbremse anlegen
Tipps zum richtigen Anweiden: